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Kanada - Ein Schüleraustauschland


Wer hat nun eigentlich die vielen Sprachen erfunden, die wir alle lernen müssen? Ist es wirklich beim Turmbau in Babylon passiert, als Gott die Bauarbeiter alle in anderen Sprachen sprechen ließ, damit der Turm nicht fertig werde? So steht es jedenfalls in der Bibel.

Aber eigentlich bedeuten Sprachen ja auch Vielfalt, nicht nur Last; wenn man bedenkt, dass die Inuit über 100 Begriffe für Schnee kennen, muss das wohl seinen Sinn haben. Also freue ich mich mal: Ich kann Serbokroatisch und Deutsch, auch ein wenig Englisch und Französisch; das müsste eigentlich reichen. Leider waren meine Lehrer anderer Meinung, meine Englischkenntnisse reichten nicht, schade.

Also noch mehr lernen, doch die anderen Fächer fordern auch ihr Recht. Wie lässt sich nur das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden? Es ist ja ganz leicht, es gibt doch den Schüleraustausch, im Ausland lernt man eine Sprache doch ganz nebenbei und das Fernweh stillt man ebenso. Wo aber spricht man denn Englisch und Französisch gleichzeitig, denn mein Französisch war ja auch noch verbesserungswürdig!?

Natürlich, in Kanada spricht man beide Weltsprachen, also nichts wie hin! Hier kann ich vom 1. Februar bis zum 30. Juni 2008 in einer Gastfamilie leben, gehe in eine ganz normale Schule und komme englisch-französisch-kanadisch gebildet zurück, verliere in unserer Schule in Toulouse kein Schuljahr und lerne in Kanada vielleicht sogar Freunde fürs Leben kennen. So dachte ich, dies war mein Plan. Wie aber sah die Wirklichkeit aus?

Im Dezember 2007 schrieb ich mein Bewerbungsschreiben und meinen Lebenslauf und schickte beides an die Organisation KulturLife und an meine Gastfamilie, im Januar besuchte ich in Hannover an einem Wochenende ein Vorbereitungsseminar. Was ich da erfuhr, bestätigte später mein Atlas. Ich komme nach Winnipeg, das heißt auf Deutsch Trübwasser. Hier wogt ein großer See, der einmal überfloss und die ganze Stadt unter Wasser setzte. Meistens aber ist der See gefroren, denn sogar im Süden Kanadas wie hier ist es schrecklich kalt, auch im Februar. Ich komme aber aus dem warmen Kroatien, wohnte im vom milden Seeklima verwöhnten Hamburg, schwitze jetzt oft im sonnigen Südfrankreich. Habe ich denn Winterkleidung? Habe ich nicht, dann lieber noch Wärmezellen der Marktleute mitnehmen. Man bricht sie entzwei, sie wärmen punktuell gut.

Tief in der dunklen Nacht traf ich Anfang Februar bei minus 30 Grad in Winnipeg an. Es war ein Gefühl von Erschöpfung nach einer knapp 26stündigen Reise, doch als ich endlich am Flughafen in Winnipeg landete, trieb mich die Neugier, endlich meine Gastfamilie zu treffen. Ich fuhr langsam die Rolltreppe hinunter und da ich ein orangefarbenes T-Shirt an hatte, erkannten sie mich sofort und nahmen mich mit einem warmen Lächeln in die Arme. Es war auch der erste Moment, in dem ich Nicolas meinen zukünftigen brasilianischen Gastbruder traf; uns verbindet heute noch eine enge Freundschaft.

Ich war so überwältigt von den Neuheiten und Freundlichkeiten, dass ich die Kälte fast vergaß; doch Vorsicht, Erfrierungen entstehen schnell und sind kaum wieder gut zu machen. Ich erlebte das auch in Sibirien bekannte Sternenflüstern. Atmet man bei großer Kälte aus, kristallisiert die Atemluft sofort und fällt als Eiskristalle wie klirrende Sternchen zu Boden, schön, aber eben kalt. Es war des Weiteren noch ein Höhepunkt in meinem Leben, als ich das erste mal –49° C erlebte, ein unbeschreibliches Gefühl und trotzdem der beste Winter in meinem Leben. Als Mann genieße ich den Vorteil, dass mir ein schöner warmer flauschiger Bart wächst, ich ließ ihn sprießen und fror bald weniger im Gesicht. Ich konnte auch morgens länger im heimeligen Bett liegen, da ich die Rasierzeit einsparte.

Mein erster Tag in der Schule verlief außergewöhnlich. Jeder wollte was über Europa und meine Herkunft wissen, man fühlte sich wirklich wie eine Berühmtheit. Bald spielte sich der Alltag ein, der folgendermaßen verlief: Ich stand immer 20 Minuten früher auf als mein Gastbruder. Wir frühstückten gemeinsam und gingen dann zur Bushaltestelle (und nahmen den Bus). Das einzige Problem bestand darin, dass der Bus nie pünktlich fuhr - entweder zu früh oder zu spät, auf jeden Fall verpassten wir oft den Bus und mussten zu Fuß bei starken Minustemperaturen zur Schule gehen, ein kaltes und unangenehmes Unterfangen.

Als der Frühling begann, schien es, als ob plötzlich alle Menschen draußen seien, um die warme Sonne zu genießen. Übrigens ist Winnipeg die sonnigste Stadt in Nordamerika. Leider erwachen im Frühling nicht nur die Menschen, sondern auch die Mücken zum Leben: Welche Plage!

Ich trieb sehr viel Sport in der Schulfußballmannschaft und befasste mich im Privaten noch mit dem Coachen einer Eishockey-Mannschaft und mit Muay-Thai (Thai-Boxen), dort traf ich weitere interessante Menschen, von denen ich viel lernen konnte und mit denen ich auch heute noch in Kontakt stehe.

Mein Alltag verlief nie langweilig, es gab immer irgendetwas zu tun. Ich lernte schnell und so intensiv Englisch, dass, als dann ein guter Freund aus Deutschland mit mir telefonierte, ich Probleme hatte, auf Deutsch umzustellen. Am Ende des Semesters im hellen Sommer Kanadas war ich traurig, dass die schöne Zeit so schnell vergangen war, ja, ich wollte sogar noch länger bleiben. Es ging aber nicht.
Zurück in Colomiers telefoniere ich einmal im Monat mit meiner Gastfamilie und werde sie bald wiedersehen. Auch mein brasilianischer Gastbruder lud mich schon zu sich nach Hause in Sao-Paulo ein.
Es war eine wirklich gute Zeit und ich kann jedem nur empfehlen, einen solchen Austausch zu wagen.

Toni Radakovic, im Schuljahr 2007/08 Klasse 11