GRUNDSCHULE WEITERFÜHRENDE SCHULE KINDERGARTEN

Bericht von Frederike Jakob, Schülerin in der Klasse 12 der Deutschen Schule Toulouse

Das Volk hat gesprochen, was nun?
Ein deutscher Experte spricht über Frankreichs Zukunft


Frankreich hat entschieden: Nicolas Sarkozy, der Kandidat der zentral-rechten UMP, ist der neue Präsident Frankreichs. Es war ein spannender Wahlkampf für Franzosen, in Frankreich lebende Ausländer und die internationale Politik, spannend, aber manchmal auch nur wenige Schritte vom Skandalträchtigen entfernt. Das französische Volk verlangte politische Umgestaltung, Reformen und einen starken Präsidenten. Hier machte Sarkozy während des Wahlkampfes das Rennen, zum Leidwesen seiner größten Konkurrentin Ségolène Royal, der es während des Wahlkampfes nicht gelang, ihre in sich zerrissene und uneinige PS (Parti Socialiste) hinter sich zu vereinen. Sarkozy dagegen schaffte es, die ebenfalls zerrissene UMP (Es gab Unstimmigkeiten zwischen den Anhängern Chiracs und denen Sarkozys), die er sich während der letzten Jahre nahezu auf den Leib schneiderte, hinter sich zu vereinen, und damit die Führungsstärke zu zeigen, die die Franzosen, unter anderem durch ihre hohen Wahlbeteiligung (ca. 85%), verlangt hatten.

So schätzte zumindest unser letzter hochkarätiger Gast vom 31. Mai das Wahlergebnis ein. Dr. Henrik Uterwedde ist stellvertretender Leiter des deutsch-französischen Instituts zu Ludwigsburg und Professor für Politik- und Sozialwissenschaften an der Universität Stuttgart.
Sein Ziel war es, dem auch diesmal wieder sehr gemischten Publikum einen Ausblick in die Zukunft zu geben. Welche Veränderungen wird es geben nach 12 Jahren Jacques Chirac und mehreren Jahren der Politik, die man beinahe als „Politik des Stillstands“ bezeichnen könnte?

Um diese Frage zu beantworten, gliederte Uterwedde seinen Vortrag in drei Teile: die wirtschaftliche Situation Frankreichs vor der Wahl, die oben erwähnten Vorteile Sarkozys gegenüber seiner Konkurrentin Ségolène Royal, um schließlich die zentrale Frage „Was nun?“ zu beantworten.

François Bayrou nannte es „Krise der Demokratie“, andere sprachen von einem Zerfall der Gesellschaft. Fakt ist, dass Frankreich sich vor der Wahl immer mehr in Richtung nationaler Krise bewegte. Besonders die wirtschaftliche Situation stand im Zentrum des Wahlkampfes. Zu Recht, wie das Publikum dem Vortrag Uterweddes entnehmen konnte. Frankreich war während der letzten 20 Jahre einem Wandel unterzogen worden, der es in einem atemberaubenden Tempo von einer Staatswirtschaft zu Privatisierung und Liberalismus verfrachtete, ohne aber an die notwendigen sozialen Reformen mit einzubeziehen. Heute, und das war für viele Anwesenden eine Überraschung, heute ist Frankreich dem Weltmarkt offener als die meisten anderen EU-Länder. 40% der CAC 40-Unternehmen sind beispielsweise im Besitz ausländischer Investoren. Zum Vergleich: An der Deutschen Börse sind es 12%-15%.

Doch der Mangel an sozialen Reformen, vergleichbar mit der Agenda 2010 in Deutschland, führte zum Verlust der französischen Wettbewerbsfähigkeit brachte die Arbeitslosigkeit, die soziale Scherensituation und ist einer der Faktoren für die prekäre Situation in den Vorstädten, den Banlieues, während sich die Politik, und damit sind Politiker aller Parteien gemeint, sich angeblich um eine Lösung gedrückt habe. Kein Wunder also, dass die Wahlbeteiligung aus Unzufriedenheit in Rekordhöhe stieg.

Und sie hat sich gelohnt: Es weht ein neuer Wind in Paris. Sarkozy geht mit einer Geschwindigkeit vor, die zu der Frage führt, wie lang er diese Tempo noch durchhalten kann. Bisher hat sich die Angst vor einem Alleingang Sarkozys nicht erfüllt. Im Gegenteil, die Ernennung eines Sozialisten zum Außenminister, war ein Schritt in Richtung Versöhnung der Parteien, zumindest was die Öffentlichkeit betrifft. Dennoch ist nicht zu bestreiten, dass der französische Präsident eine ganz besonders große Machtposition innehat. Besonders der zu erwartende Wahlerfolg der UMP bei den Parlamentswahlen, das durch das Mehrheitswahlrecht an Bedeutung noch gewinnt, dürfte Sarkozy nahezu unantastbar machen. Uterwedde schätzt diese Gefahr einer Ausnutzung der Machtposition aber für begrenzt, denn „anders als in Deutschland ist die Bevölkerung in Frankreich wesentlich eher bereit auf die Straße zu gehen“, so Uterwedde. Er ist überzeugt davon, dass aufgrund des Mangels an institutionellen Organen zur Kontrolle, die Wachheit und Handlungsbereitschaft der Bevölkerung hier größer ist. Auch die Rolle der Presse stuft er als wichtig und mächtig ein. Dies wüssten die Politiker und die Erfahrung habe gezeigt, dass Demonstrationen und negative Schlagzeilen in Frankreich durchaus die Wirkung haben können, dass Gesetze zurückgezogen oder erlassen werden oder dass Politiker zurücktreten. In Deutschland ist dies undenkbar, in Deutschland gibt es aber auch nicht diese geballte Machtkonzentration. Welchen Rat gibt uns also der Experte für die nähere Zukunft? Abwarten und erst einmal sehen, was Sarkozy uns bringt.

Mit einer Mischung aus Witz, eigener Meinung und natürlich sehr vielen aufschlussreichen Fakten, gelang es Uterwedde, die Aufmerksamkeit aller Anwesenden dauerhaft zu fesseln, so dass er nach dem Vortrag mit Fragen nahezu bombardiert und selbst beim Sektempfang noch in Diskussionen verwickelt wurde. Nach seiner gelassenen Prognose werden viele Zuhörer etwas beruhigter aus dem Saal herausgegangen sein. Dennoch werden viele Sarkozys Werdegang weiterhin gespannt verfolgen.

Der folgende Tag gab den Klassen 11 und 12 die Möglichkeit von einem renommierten Professor einen interessanten Einblick in die Unterschiede von zwei politischen Grundverständnissen zu bekommen: Das eine die französische Mehrheitsdemokratie und das andere die deutsche Verhandlungsdemokratie.

Der zum Ende dieser zweiten Veranstaltung folgende Überblick über die zahlreichen, von Saarbrücken aus durch die DFH koordinierten deutsch-französischen Studiengänge, die Uterwedde als Lehrender aus eigener Erfahrung kennt, bildete den krönenden Abschluss seines Besuchs. Natürlich empfahl er diese Studiengänge den zukünftigen Abiturjahrgängen wärmstens.

Frederike Jakob, Klasse 12