GRUNDSCHULE WEITERFÜHRENDE SCHULE KINDERGARTEN

Vom Turm in Blagnac zur Brandswiete in Hamburg

im Oktober 2006


Alles fing damit an, dass unsere Schulleiterin Frau Kunert ihren Bekannten Herrn Dr. Teichert vor zwei Jahren eingeladen hatte, im Rahmen von „DS Toulouse Kulturelles“ im Turm die Frage zu beantworten: „Woher weiß der SPIEGEL, was er behaupet?“

Ich war damals in der 13. Klasse und erfuhr zum ersten Mal etwas über die Existenz der „SPIEGEL-Dokumentation“ und die Recherche und die „Verifikation“, die diese Abteilung für sämtliche Artikel leistet, die im Wochenmagazin erscheinen. Nach Herrn Dr. Teicherts äußerst interessantem Vortrag nahm ich meinen ganzen Mut zusammen, zwängte mich mit zwei Gläsern Sekt in den Händen durch die Menge zu unserem Gast durch und fragte ihn einfach, ob man denn beim Spiegel auch Praktika machen könne. Etwas überrascht, aber sehr freundlich kam die Antwort: Ja, natürlich.

Zwei Jahre später schickte ich Herrn Dr. Teichert meine Bewerbung und fragte ihn erneut, nur diesmal direkter „ Könnte ich beim Spiegel ein Praktikum machen?“ Und die Antwort war wieder ein genauso freundliches „Ja, natürlich. “

Inzwischen hatte ich mein erstes Jahr Studium an Sciences Po in Nancy hinter mir und fühlte mich genügend vorbereitet, um nicht nur zuzuhören, wie es in der Redaktion eines Nachrichtenmagazins zugeht, sondern mich auch wirklich an der Arbeit zu beteiligen.

So stand ich also am Freitag, den 1. September 2006, um 10 Uhr ehrfürchtig vor der Tür des Spiegel-Verlags an der Brandswiete in Hamburg, um meinen ersten Tag als Praktikantin anzutreten.
Etwas aufgeregt meldete ich mich am Empfang, wo mich Herr Dr. Teichert wenige Minuten später abholte. Durch mehrere Gänge und Büros gingen wir bis zur Auslandsdokumentation, wo er mich zum Schreibtisch führte, an dem ich die nächsten Wochen arbeiten würde: Ein PC, Regale mit vielen Büchern, ein roter und ein schwarzer Kugelschreiber. „Die braucht man zum Korrektur-Lesen“ erklärte mir mein neuer Chef und nahm sich zusätzlich die Zeit, mir das interne Dokumentationssuchprogramm zu zeigen, mit welchem ich später Recherchen für die Journalisten machen würde. Dann führte er mich durch die Abteilung und stellte mich meinen neuen Kollegen vor, sodass ich mich recht schnell selbst zurechtfinden konnte.
Um Punkt 12 machten wir uns auf den Weg zum Firmenrestaurant, denn Kantine kann man das wirklich nicht nennen: Im Design der 80er Jahre gestylt, jeden Tag der Woche eine Auswahl von drei kulinarischen Gerichten, und nicht etwa self-service, nein, man wird sogar bedient!
Nachdem mich mein Chef zu einem espresso macchiato eingeladen hatte (was schnell zu einem täglichen Ritual wurde), begab ich mich wieder auf dem Weg zu meinem neuen Arbeitsplatz und machte mich daran, das Dokumentationsprogramm mit seinen 33 Millionen Artikeln möglichst schnell in den Griff zu bekommen, denn das sollte mein wichtigstes Werkzeug in den kommenden Wochen werden. Um 16:00h war der Tag auch schon zu Ende und ich konnte mich mit vielen neuen Eindrücken in die S-Bahn setzen und nach Hause fahren.

Nach einem ruhigen Wochenende ging es am Montag mit großer Freude wieder zum Spiegel-Verlag. In dieser Woche bekam ich auch schon meine erste Verifikationsarbeit: Eine Buch-Rezension. Einen roten Stift in der einen Hand und die Korrekturvorschriften in der anderen, machte ich mich an die Arbeit. Nach einigen Telefongesprächen mit dem Verlag, der das Buch veröffentlicht hatte, und der Überprüfung etlicher Zitate konnte ich Herrn Teichert zufrieden meine erste fertige Korrektur vorlegen.

Mitte der Woche bekam ich dann auch den ersten Anruf aus der Redaktion: Ich sollte für einen Journalisten Recherchen über einen schwedischen Politiker machen. Mein Chef zeigte mir die Bücher und Internetseiten, die ich für die Recherchen gebrauchen konnte. Ein paar Stunden später fuhr ich hoch in den 8. Stock und konnte dem Journalisten meine Recherchen auf den Schreibtisch legen. Ganz toll fand ich es, am nächsten Montag den Artikel über diesen schwedischen Politiker im SPIEGEL zu lesen. Am liebsten hätte ich meinem S-Bahn-Nachbarn die Zeitschrift unter die Nase gehalten und gesagt: „Gucken Sie mal, das habe ich recherchiert!“ oder „Hallo, Sie, diesen Artikel da, den habe ich korrigiert!“.

Und so ging es auch die nächsten Wochen weiter: Ich bekam Artikel zur Korrektur vorgelegt, die nicht ganz so eilig waren, machte Recherchen und ging montags mit Herrn Teichert immer zur berühmten Spiegel-Konferenz, bei der ein kritischer Blick auf das am selben Tag in den Kiosken ausliegende Heft geworfen wird, wozu häufig eine Persönlichkeit des öffentlichen Lebens eingeladen wird.

Am 29. September war es dann Zeit für den Abschied. Ich beendete all meine Arbeiten, räumte meinen Schreibtisch auf und machte den Computer aus. Danach verabschiedete ich mich von meinen Kollegen, die mich diese ganze Zeit begleitet hatten und schenkte ihnen noch ein kleines Abschiedsgeschenk als Dankeschön. Ein letztes „Tschüß“ auch an das freundliche Empfangspersonal und draußen war ich. Wehmutig blickte ich noch ein letztes Mal auf das Spiegel-Gebäude und stieg die Treppen zur U-Bahn hinab.

Ich muss wirklich sagen, dass ich mit diesem Praktikum ein Riesenglück hatte. Nicht nur weil es während meines Aufenthalts für Hamburger Verhältnisse unverschämt viele September-Sonnentage gab und ich diese durch meine flexiblen Arbeitszeiten auch während der Woche genießen konnte, vielmehr hatte ich auch das Glück, eine richtige Aufgabe im Unternehmen zu bekommen, wo ich nie Kaffee ausschenken und Fotokopien machen musste, sondern wo ich für ein paar Wochen einen richtigen Beruf hatte und Ergebnisse produzierte, die gebraucht wurden. Auch die Kollegen waren immer außerordentlich freundlich und hilfsbereit und behandelten mich vom ersten Tag an wie eine der ihren. Und last but not least hatte ich das Glück, einen unbeschreiblich netten Chef zu haben, der mich nicht nur jeden Tag der Woche zum Kaffee einlud, sondern sich auch viel Zeit nahm, mir den Beruf des Dokumentarjournalisten näher zu bringen und jede meiner Fragen mit Geduld und Verständnis zu beantworteten.

Glück muss man also haben und ein bisschen Mut: Wäre uns nicht die Gelegenheit geboten worden, durch die Abendveranstaltung der Schule einen ungewöhnlichen Einblick zu bekommen und interessante Kontakte zu knüpfen, und hätte ich mich nicht getraut Herrn Dr. Teichert bei seinem Vortrag anzusprechen, wäre all dies nicht zustande gekommen.

Amélie Straub